Die Geschichte der Recklinghäuser Familie Markus

„Poahlbürger“[1]– so hießen die alteingesessenen jüdischen Familien, zu denen auch die Familie Markus gehörte. Die Mitglieder der Familie Markus sind Nachfahren der Eheleute Rosa (1847-1913) und Marcus Markus (1846-1910), die beide auf dem jüdischen Friedhof in Recklinghausen beerdigt wurden. Die Familie Markus war länger ansässig in Recklinghausen als viele andere Familien. Ihre Vorfahren waren während der Industrialisierung zugewandert. Viele hatten im ersten Weltkrieg für ihr Vaterland gekämpft und haben viele Ehrenabzeichen erhalten, wodurch sie sehr angesehen waren. Die Brüder Alex (1876), Felix (1880) und Robert (1886) Markus führten mit ihren Ehefrauen Obst- und Gemüsestände und hatten einen festen Platz in der Recklinghäuser Innenstadt, in Süd und auf dem Marktplatz, bis SA-Mitglieder damit begannen, ihren Stand regelrecht abzusperren. Der Pressetitel „Unser Markt ist judenfrei!“[2] bedeutete das Ende der Stände. AM 9./10.11.1938 wurde dann auch noch zu allem Übel das Geschäft der Eheleute Robert und Selma überfallen und zerstört. Robert Markus versuchte sich gegen die SA-Leute zu stellen. Bewaffnet mit seinen Orden, die seinen gesellschaftlichen Stand symbolisierten, trat er ihnen entgegen. Doch ihre einzige Reaktion war die Zerstörung der Orden. Ihre Lebensgrundlage existierte nicht mehr. Doch der nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten. Die Familie musste zu allem Unglück auch noch aus ihrer Wohnung ausziehen und in eine kleinere Wohnung, in sogenannte Judenhäuser in der Kellerstraße ziehen. Aller Hoffnung und Ehre beraubt, blieb der Familie nichts anderes übrig als zu warten. Die Deportation von 95 Erwachsenen und 10 Kindern begann am 27.01. und 3.02. 1942. Im ersten Transport waren auch Familie Selma und Robert Markus mit Kindern und Alex und Felix samt Frauen und Kindern dabei. Ihre Reise ins für sie Ungewisse endete im Ghetto Riga, der Hauptstadt des besetzten Lettlands. Die Reise dorthin wurde auch als „Todeszug“[3] betitelt, da viele wegen der niedrigen Temperaturen erfroren. In das Ghetto wurden etwa 17000 „Reichsjuden“ gebracht. „Wir dachten der Schnee ist schwarz“[4] erinnert sich Martha Markus (1911), Tochter von Julia und Felix Markus. Der Schnee jedoch war nicht schwarz, sondern gekennzeichnet von Spuren eines Massakers von 28000 ehemaligen Bewohnern. Schon am Bahndamm wurden einige der Neuankömmlinge direkt erschossen. Durch den Aufhebungsbefehl aller Ghettos durch Himmler am 21.06.1942 wurde die Familie vermutlich durch Verlegungen, wie in das KZ Kaiserwald, getrennt.

Martha Markus ist die einzige Überlebende der Markusfamilie.

Sie wurde im Herbst 1944 ins KZ Stutthoff bei Danzig transportiert. Von da aus wurde sie mit anderen Überlebenden auf einen „Todesmarsch“ in Richtung Westen getrieben. Der Gang endete in einer Scheune in Schierhoff bei Lavenburg. Sie wurden mit Benzinfässern umstellt und nur die Flucht der SS-Bewacher vor den anrückenden russischen Truppen rettete ihr und vielen anderen das Leben. Sie kehrte nach Recklinghausen zurück und mit ihrem Mann Ludwig de Vries wurden sie 1945 zu Wiederbegründern der jüdischen Kulturgemeinschaft in Recklinghausen.

Literatur

Helmut Geck, Georg Möllers und Jürgen Pohl: Wo du gehst und stehst…Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933 bis 1945. Verlag Rudolf Winkelmann, 2002.

Georg Möllers und Jürgen Pohl, Abgemeldet nach „unbekannt“ 1942: Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen, Klartextverlag 2017 

Fußnoten

[1] Vgl. Helmut Geck, Georg Möllers und Jürgen Pohl: Wo du gehst und stehst…Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933 bis 1945. Verlag Rudolf Winkelmann, 2002. S.125

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Ebd.